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Wir wissen, dass Johann Liss aus dem Norden Deutschlands, genauer aus Holstein, stammt. Um uns nun die Situation, in der er dort um 1600 aufgewachsen ist, besser vorstellen zu können, muss zunächst der historische Kontext im Deutschland jener Zeit geklärt werden.

Geschichtliche Einordnung 

Da jeder Künstler eng mit den geschichtlichen Ereignissen seines Heimatlandes verbunden ist, ist es nötig, zunächst einmal einen Blick auf die Geschehnisse zu werfen, die sich zur Zeit der Geburt und während des Lebens von Johann Liss in den deutschsprachigen Ländern abspielten, auch wenn sie seine Künstlerkarriere oft nur aus der Ferne berührten. 

Wenn man im Zusammenhang mit Johann Liss von Deutschland spricht, so bezeichnet man damit konkret das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unter der Herrschaft Römisch-Deutscher Kaiser. Dieses Reich existierte vom Ende des 15. Jahrhunderts bis 1806 und überwölbte eine riesige Anzahl von Kleinstaaten, regionale Fürsten- und Herzogtümer, die den Kaiser offiziell anerkannten und den Reichsgesetzen und der Gerichtbarkeit unterworfen waren. Reichszugehörig waren außer dem heutigen Deutschland auch umliegende Gebiete wie, um nur einige zu nennen, das Erzherzogtum Österreich, die Freigrafschaft Burgund, das Elsass, das Herzogtum Lothringen, Pommern und das Kurfürstentum Brandenburg.³ Die Bewohner des jeweiligen Territoriums unterstanden jedoch nicht direkt dem Kaiser, sondern dem Landesherrn. 

Dies wurde mit dem Beginn der Reformation und den daraus resultierenden Differenzen in Glaubensfragen zum Problem, als sich der neue Glauben in verschiedenen Territorien ausbreitete. Nach jahrzehntelangen Unruhen und Kriegen wurde 1555 schließlich der Augsburger Religionsfriede ausgerufen, wodurch der Grundstein für eine friedliche Koexistenz von Luthertum und Katholizismus gelegt wurde und durch den die Landesherren das Recht bekamen, die Konfession ihrer Untertanen zu bestimmen. Einer relativ stabilen Friedensphase folgten in den 1580er Jahren neue Unruhen aufgrund von Spannungen zwischen den Religionen. 1608 wurde die Protestantische Union gegründet und als Reaktion darauf 1609 die Katholische Liga. 

1618 löste der Prager Fenstersturz schließlich den Dreißigjährigen Krieg zwischen dem Kaiser mit der Katholischen Liga gegen die Protestantische Union aus. In der Folge kämpften die Habsburgischen Mächte Österreich und Spanien mit ihren Verbündeten gegen Dänemark, Schweden, die Niederlande und Frankreich. Die Kämpfe fanden vorwiegend auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation statt. Gewalt, Hunger und der Ausbruch der Pest prägten die kommenden dreißig Jahre.

Karte des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1618 am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges

Zum Begriff „deutsch“

Der Begriff „deutsch“ wird im Zusammenhang mit der Epoche des 16. und 17. Jahrhunderts in der Regel zur geographischen Einordnung der Abstammungsregion eines Künstlers verwendet. Im Mittelalter wurden Begriffe wie regnum Teutonicum ausschließlich von ausländischen Herrschern oder Päpsten gebraucht, um so den Kaiser regional in seinem Machtbereich einzugrenzen. Um 1500 beeinflusste die Wiederentdeckung von Tacitus Werk Germania Humanisten, die sich infolgedessen mit dem Begriff „deutsch“ beschäftigten. 

Wenn in der Forschung der Begriff „deutsch“ synonym mit einem Bewohner des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation benutzt wird, so kann man zu Recht die Frage stellen, ob ein Künstler der damaligen Zeit, der aufgrund der zahlreichen heterogenen Kleinstaaten nicht im Bewusstsein einer überregionalen kulturellen Identität leben konnte, sich selbst als „deutsch“ bezeichnet hätte. Der Begriff Deutscher Nation entspricht eher „dem Selbstverständnis der Bewohner des Alten Reiches als Sprachgemeinschaft“. Auch Joachim von Sandrart benutzte den Begriff teutsch und fasste in seiner Teutschen Akademie Künstler zusammen, deren Herkunft in einer deutschsprachigen Region zu verankern war. Entscheidend sind dann aber die spezifischen Angaben, wie im Fall von Johann Liss: von Oldenburg.

Soziale Strukturen in Holstein um 1600

Die Gesellschaft, in die Johann Liss wohl zum Ende des 16. Jahrhunderts in Schleswig-Holstein hineingeboren wurde, war geprägt durch starke soziale Unterschiede. Dabei entwickelte sich das Gefälle zwischen den höheren und niedrigeren Ständen immer weiter auseinander. Lediglich zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung zählten zur sogenannten Elite, die sich aus dem Landesherrn, den Adligen sowie den Großbürgern und -bauern zusammensetzte.¹⁰

Dabei ist uns nicht gesichert bekannt, in welchen Stand Johann Liss hineingeboren wurde. Als Herkunftsort des Malers wird das holsteinische Oldenburger Ländchen im Norden von Lübeck gesehen. Außerdem gibt es Vermutungen, dass es sich bei seinen Eltern um ein im Kunsthandwerk tätiges Ehepaar gehandelt hat.¹¹ Im weiteren Verlauf sollen nun verschiedene Lebensumstände der damaligen Gesellschaft in Schleswig-Holstein beschrieben werden, in denen der Künstler um 1600 aufgewachsen ist. 

Druckplatte ‚047av-047br‘ vom Atlas Ortelius von Abraham Ortelius. Auf der rechten Karte ist das Herzogtum Holstein zu sehen, auf der linken die Landgrafschaft Hessen

Die Reformation

Im Laufe des 16. Jahrhunderts verbreitete sich in Schleswig-Holstein allmählich das reformatorische Gedankengut. In Norddeutschland sowie Skandinavien ereignete sich aufgrund ihrer kulturellen Verwandtschaft die lutherische Reformation, wobei sich die Bewegung in den verschiedenen Ländern gegenseitig beeinflusste. Beginnend in Schleswig-Holstein fand dort erstmals 1522 ein öffentlicher Gottesdienst in lutherischer Form statt. Für die weitere Verbreitung der Reformation sorgten unter anderem Mönche, die ab 1521 als Wanderprediger im Land unterwegs waren. Daraufhin stockte die reformatorische Bewegung durch einen Kompromiss der katholischen Kräfte in Schleswig-Holstein etwas, wurde jedoch durch die 1537 in Dänemark beschlossene Kirchenordnung wieder begünstigt. Nachdem der letzte Widerstand gegen die Reformation durch den Tod des Bischofs von Schleswig 1542 weggebrochen war, konnte schließlich auch in Schleswig-Holstein eine neue Kirchenordnung verabschiedet werden. Damit war der Weg für eine frühmoderne Staatsentwicklung geebnet, die auf dem Machtausbau der Fürsten durch den säkularisierten Kirchenbesitz gründete.¹²

Der Wohnraum

Während sich die Wohnsituation der Adligen ab der Zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sozusagen modernisierte, indem z.B. zunehmend die Gärten in das Wohnkonzept integriert wurden, zählten 80 bis 90 Prozent der Einwohner Schleswig-Holsteins immer noch zur Landbevölkerung. Dort wohnten sie in zumeist stark heruntergekommenen und ärmlich ausgestatteten Bauernhäusern oder Baracken. Demgegenüber lebten im urbanen Raum die unteren Schichten, wie Handwerker oder Tagelöhner, oftmals in den Vorstädten in Buden. Dabei handelt es sich um einstöckige Behausungen von geringem Ausmaß.

Allgemein ist der durchschnittliche Wohnraum um 1600 vor allem dunkel, stickig und nicht gleichbleibend warm, da eine Vergrößerung der Fensterflächen aufgrund des dafür notwendigen zusätzlichen Bedarfs an Heizmaterial für viele Menschen nicht möglich war. Die Wohnstuben waren oft stundenlang in Rauch gehüllt, da die herkömmlichen Feuerstellen im 17. Jahrhundert noch nicht von den neuartigen Schornsteinen und gemauerten Herden abgelöst worden waren.¹³

Die Ernährung

Durch eine schlechte wirtschaftliche Lage der unteren Schichten mussten sie vor allem auf Lebensmittel zurückgreifen, die ihnen möglichst viel Nährwert zu einem günstigen Preis boten. Daher ernährte sich der Großteil der Menschen hauptsächlich von Hafergrütze und Brot sowie zusätzlich von Gemüse und Waldfrüchten. Fleisch konnte sich nur ein relativ kleiner Teil der wohlhabenderen Bevölkerungsschicht leisten, wobei es in gebratener Form eher ein rares Gut war und zumeist gepökelt wurde. Dazu gab es größtenteils Wasser und Milch oder, wenn ein Bürger der Stadt die Braugerechtigkeit inne hatte, sogar Bier. Die Trinkwasserversorgung war durch Brunnen gewährleistet, die entweder auf dem Land bei jedem größeren Bauernhof oder in der Stadt öffentlich, bzw. privat für Brunnengemeinschaften zugänglich waren. Das Abwasser hingegen wurde einfach auf die Straßen gekippt, von wo es in den Stadtgraben floss oder im Boden versickerte. Das Infektionsrisiko wurde dabei bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht erkannt.¹⁴

Die Kleiderordnung

Das soziale Gefälle zwischen den Ständen war auch über die Kleidung der Menschen nach außen hin sichtbar, da sie in den Kleiderordnungen durch den Landesherren stark reguliert wurde. In der Polizeiordnung vom 27. September 1636 z.B. wurde die Kleidung nach den Stoffen, der Wertigkeit sowie den Maßen eingehend beschrieben und für die einzelnen Schichten der Gesellschaft von den gelehrten Räten der Landesherren bis hin zu den Knechten und Mägden festgelegt. Darüberhinaus wurden auch Vorschriften zu Schmuck und sonstigen Details wie der Kragenhöhe oder den Bordüren erlassen, die für den jeweiligen Stand als angemessen erachtet wurden. Zum Vergleich wurden beispielsweise den Töchtern und Ehefrauen der gelehrten Räte Schmuck und wertvolle Stoffe darunter Samt und Seide zugestanden. Demgegenüber durften die Untertanen auf dem Land oder die gemeinen Bürger in der Stadt weder Seide noch importierte Kleidung erwerben. Sie mussten sich dunkel und schlicht kleiden, während es für den höchsten Stand der Landesherren und Ritter keinerlei Beschränkungen gab.¹⁵

Bild aus Nr. 382, Münchener Bilderbogen. 1848. München: Braun u. Schneider. 

Kunstszene

Die bilderfeindlichen Strömungen der Reformationszeit und die unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse in den unzähligen Kleinstaaten trugen dazu bei, dass phasenweise kein kontinuierliches Kunstschaffen im Reich möglich war. Erschwerend kam auch der Aspekt der Religionszugehörigkeit hinzu. Religionsfreiheit war selten gegeben, meist zwangen die Landesherren die Bevölkerung, ihren Glauben anzunehmen. Für Künstler konnte dies im Zusammenhang mit der Erteilung von Aufträgen eine große Rolle spielen.¹⁶ Im katholischen Süddeutschland waren beispielsweise Altargemälde gefragt wie noch nie zuvor.¹⁷

Während des Dreißigjährigen Krieges verschärfte sich die Situation erneut für die Künstler. Joachim von Sandrart beschrieb in seiner Teutschen Akademie die Lage der Kunstschaffenden während des Krieges: „In Teutschland/ ward dieses Kunst-Liecht durch Martis Pulverdampf verdunklet“,¹⁸ sowie „[a]lso geriethe solche [die Kunst] in vergessenheit/ und die jenige/ so hiervon Beruff macheten/ in Armut und Verachtung: daher sie das Pollet fallen ließen/ und an statt des Pinsels/ den Spiß oder Bettelstab ergreiffen musten/ auch vornehme Personen sich schämeten/ ihre Kinder zu so verachteten Leuten in die Lehre zu schicken.“¹⁹ 

In den Kriegsgebieten wurden fürstliche Sammlungen geplündert, Künstler wie Joachim von Sandrart mussten ihre Heimat verlassen oder Kriegsdienst leisten. Dennoch waren die Auswirkungen auf das Kunstschaffen durch den Dreißigjährigen Krieg eher indirekt, da der Schauplatz des Krieges nach und nach in regional begrenzte Einzelkämpfe zerfiel. So konnte sich in den unbetroffenen Gebieten das normale Leben erneuern. Die angespannte Lage äußerte sich insofern auf das Kunstschaffen, dass es nicht überall und in jedem Bereich möglich war und auch ein Mäzenatentum fehlte.²⁰

Zum einen entstanden in dieser Zeit Werke, die den Krieg und die Sehnsucht nach Frieden thematisierten. Kriegsschrecken, Alltagsszenen in der Kriegszeit, Allegorien von Krieg und Frieden wurden malerisch dargestellt. Diese sind trotz ihrer erschreckend realistischen Details jedoch auch komponierte Inszenierungen, vergleichbar mit dem zeitgenössischen Kriegstheater.²¹ Zum anderen entwickelte sich beispielsweise in Augsburg die Goldschmiedekunst und Luxusmöbelherstellung, bei der auch Maler beteiligt waren, zur Blüte.²² Die Künstler waren dabei sehr mobil: deutsche Künstler reisten ihren Aufträgen hinterher in andere deutsche Regionen oder ins Ausland (und unterschieden sich dabei von den Wandergesellen der Zünfte),²³ während aus anderen Ländern Glaubensflüchtlinge nach Deutschland einreisten. Somit entstanden immer neue Impulse für die Kunst. Dies erschwert auch die Definition „deutscher Kunst“. Viele Künstler gingen wie Johann Liss für einen langen Zeitraum ins Ausland, auch Hans Rottenhammer (1564/65-1625) oder Johann Heinrich Schönfeld (1609-1684) hielten sich über ein Jahrzehnt in Italien auf. Andere Künstler wie Johannes Lingelbach (1622-1674) verließen Deutschland ganz, dieser zog von Frankfurt a.M. nach Rom und Neapel und ließ sich dann endgültig in Amsterdam nieder. 

 

Schwierig ist auch die Einordnung von Künstlern, die umgekehrt nach Deutschland einreisten. Beispielsweise lebten und arbeiteten zahlreiche niederländische Künstler, geprägt von ihrem Herkunftsland, dauerhaft in Deutschland, wie in der Frankenthaler Künstlerkolonie. Stilistische Herkunfts-Einordnungen sind daher schwierig. Wichtiger als der Begriff des Regionalstils war die Prägung durch Schulen und Werkstätten und Einflüsse aufgrund von tatsächlich bei Auslandsaufenthalten o.ä. gesehenen Werken oder von kursierenden Druckgrafiken.²⁴ 

Die wandernden Künstler boten auf diesen Reisen auch ihre mitgebrachten Gemälde an. Die Werke entstanden nun also nicht mehr nur als Auftragskunst. Ort und Zeit für den Verkauf wurden von der jeweiligen Obrigkeit geregelt, beispielsweise auf Märkten oder Messen. Mit diesen auf der Wanderung mitgeführten Gemälden änderte sich das Format der Kunstwerke, es entstanden kleinformatige Kabinettbilder. Das Gemälde löste sich damit zunehmend von der Architektur und wurde zu einer selbstständigen Einheit.²⁵ Beispiele dafür sind Stillleben, welche meist ohne Auftrag angefertigt wurden, oder auch die „Feinmalerei“ von Johann König auf Kupfer.²⁶ Der Maler wurde somit gleichzeitig zum Kunsthändler.

Neben den mit ihren Werken handelnden Malern traten auch professionelle Kunsthändler auf. Heute noch wegen seines hinterlassenen Briefwechsels bekannt ist der Augsburger Patrizier und Kunsthändler Philipp Haindorfer (1678-1647), der Kunden dazu brachte, Kunstwerke in Auftrag zu geben, oder der selbst Kunstwerke anfertigen ließ, um sie danach zu verkaufen. Er konnte dazu bis zu 32 Künstler aus 15 verschiedenen Zünften beschäftigen. Dies gibt einen Einblick in die potenzielle Größe solcher Unternehmen.²⁷

Die Künstler spezialisierten sich dabei auf verschiedene Bereiche, wie Beispiele aus den Nürnberger Malerbüchern des 17. Jahrhunderts zeigen. „Mahler, flache Mahler, Conterfetter, Pespectivmahler, Landschaftmahler, in fresco Mahler, Wasserfarbmahler, Miniaturmahler, gfleckelte Mahler, Schmelzwerckmahler, Casormahler, Ezmahler, Glaßmahler, Staffierer, Briefmahler, Wismahtmahler, Freihandmahler, Illuministen, Italianischlackmahler“²⁸ werden dort genannt. Dies hatte zur Folge, dass sich auch in Deutschland, ähnlich wie in Holland, Kunstzentren für Spezialisierungen herausbildeten. So florierte beispielsweise in Frankfurt am Main und Hanau die Stilllebenmalerei.²⁹

Geht man der Frage nach, wie viele Maler im 17. Jahrhundert tätig waren, so finden sich aufgrund der schwierigen Quellenlage nur selten Angaben. 1625 wurden in Nürnberg 40 Malerwerkstätten betrieben, Mitte des 17. Jahrhunderts lassen sich um die 450 Maler nachweisen. Diese mussten sich häufig mit Gelegenheitsarbeiten wie das Malen von Sonnenuhren auf Hauswänden finanzieren, um ihren Unterhalt zu verdienen.³⁰

Netzwerke

In der frühen Neuzeit war die Gesellschaft nach Ständen gegliedert und nicht nach Klassen. Es handelte sich also um soziale Gruppen, die nicht nur durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen verbunden waren, sondern die sich durch den Anspruch auf bestimmte rechtliche und politische Privilegien und durch einen gemeinsamen Lebensstil auszeichneten. Besondere Rolle spielten hierbei die Zünfte. „Wer im 17. Jahrhundert zum Maler ausgebildet wurde, unterstand den strengen Zunftregeln oder den zunftähnlichen Malerordnungen.“³¹ In einer Zunft waren oft mehrere Handwerksberufe zusammengeschlossen. Maler, die in dieser Zeit noch als Handwerker galten, waren meist mit Goldschmieden, Glasern und Bildhauern, manchmal selbst mit Badern und Perückenmachern, in einer Zunft vereint.³² Die Ausbildung zum Maler begann im 17. Jahrhundert meist im Alter zwischen 10 und 14 Jahren. Der Junge wurde in der Regel für vier Jahre bei einem Künstler seines Heimatlandes in die Lehre geschickt und wurde dort in dem für seinen Beruf zuständigen Zunftbuch eingeschrieben. Kunstakademien für einen echten Unterricht entstanden erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, unter anderem durch Joachim von Sandrart, dem „Biografen“ von Johann Liss. Stattdessen war der Lehrjunge mit Hilfsaufgaben wie Farbenreiben und Leinwandaufziehen beschäftigt und lernte durch Zuschauen. Später stand ihm ein tägliches Zeitfenster zur Verfügung, in dem er sich selbst ausprobieren konnte, teilweise mit Gipsmodellen als Vorbild, oder er durfte Gemälde seines Lehrers kopieren. Am Ende der Lehrzeit erhielt er ein Zeugnis und wurde zum Gesellen.³³ Da die Zunft- bzw. Maleramtsregeln einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt vorschrieben, wanderten die Malergesellen meist zu einer Weiterbildung in europäische Kunstzentren wie Antwerpen, Amsterdam, Haarlem, Utrecht, Paris, Rom, Venedig Florenz oder Neapel, ein Pendant zur „Grand Tour“ der wohlhabenden jungen Adligen oder Bürgerlichen.³⁴

Die wandernden Künstler

Norddeutsche Gesellen wie Johann Liss wanderten meist zuerst nach Holland oder Frankreich, um von dort eventuell weiter in den Süden zu ziehen, die süddeutschen Gesellen wanderten eher gleich nach Italien.³⁵ Schon Karel von Mander schrieb 1604 in seinem Schilder-Boeck: „Bringt von Rom tüchtiges Zeichnen mit und von Venedig … das Malen.“³⁶ Ihren Unterhalt verdienten sich wandernde Gesellen in Malerwerkstätten, auch dies wurde von den Malerordnungen geregelt. Auch hier spielte die Religion eine Rolle: die Aufnahme protestantischer Gesellen im Süden bzw. katholischer Gesellen im Norden war erschwert.³⁷ Für viele der Maler war diese Wanderzeit die einzige Chance, andere Künstler und auch Kunstrichtungen kennenzulernen, um so den eigenen Stil weiterentwickeln zu können.³⁸ 

Wenn der Malergeselle am Ende dieser Wanderzeit zurückkehrte, erwarb er das Recht, in den Stand eines Meisters aufzurücken, indem er ein Meisterstück, das „Probstück“³⁹ zum Nachweis seiner künstlerischen Fähigkeiten bei den Amtsvorstehern der Stadt, in der er sich niederlassen wollte, einreichte. Für die Gründung einer Werkstatt war es nötig, einen eigenen Hausstand zu besitzen und in der Bürgerschaft aufgenommen zu sein. Die Tätigkeit an einem fremden Ort erforderte immer neu die Erlaubnis der dortigen Stadtherrschaft und Zunft. Da die Malerordnungen die Ansiedlung neuer Künstler kontrollierten und auch die Gründung eigener Werkstätten verbieten konnten, musste teilweise auf die Übernahmemöglichkeit einer vakant gewordenen Werkstatt, z.B. durch Tod oder Wegzug, gewartet werden.⁴⁰ Die rigiden Verordnungen der Zünfte verhinderten somit oft das Entstehen einer blühenden Kunstgemeinde.

Kontakte knüpfen

Eine andere Möglichkeit, die die Wanderzeit bot, war, während der Reise Kontakte zu Patriziern in Reichsstädten, zu Adelshäusern oder Geistlichen zu knüpfen. Weltliche und geistige Höfe und Klöster waren neben den Patriziern die größten Auftraggeber. Eine Besonderheit innerhalb des Reiches waren in dieser Zeit die unterschiedlichen Konfessionen, die jeweils eigene Bildtraditionen oder Auftragsbereiche hatten und so Spezialisierungen ermöglichten bzw. nötig machten. Besonders die Arbeit an einem der Fürstenhöfe war begehrt, da sie ein regelmäßiges Einkommen sicherte, das sich am Talent des Malers orientierte, und auch Kost und Logis beinhalten konnte. Dazu kam die verlockende Entbindung von den Regeln und Zwängen der Zünfte. Im gesamten Reich wurde dafür kein hochbegabter Spezialist gesucht, sondern jemand, der die unterschiedlichsten Arbeiten ausführen konnte.⁴¹ Weitere Tätigkeiten wie die Arbeit als Kammerdiener oder die Betreuung der Kunst- und Wunderkammer kamen hinzu.⁴²

Auch Kontakte zu anderen Künstlern ließen sich besonders gut während der Wanderzeit knüpfen. Bekannte Künstler, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum lebten und arbeiteten, waren z.B. Hans von Aachen (1552-1615), Peter Candid (Pieter de Witte, 1548-1628), Adam Elsheimer (1578-1610), Georg Flegel (1566-1538, Hans Rottenhammer d.Ä. (1564-1625), Sebastian Stoskopff (1597.1657), Johann König (1586-1642), Joachim von Sandrart (1606-1688), Joseph Heintz d. Ä. (1564-1609), Ulrich Loth (1599-1662) und Johann Heinrich Schönfeld (1609-1684). 

Künstler, die mit dem Dreißigjährigen Krieg in Verbindung gebracht werden können, sind u.a. Jacques Callot (1592-1635), Hans Ulrich Franck (1590/95-1675), Matthäus Merian dem Älteren (1593-1650) und Rudolf Meyer (1605-1638).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Mobilität und Flexibilität zu den wichtigsten Faktoren für das künstlerische Schaffen eines deutschen Künstlers während des Dreißigjährigen Krieges gehörten. Die „Epoche der Wanderkünstler“⁴³ mit Zuwanderern sowie Auswanderern, denen eine gewisse „Heimatlosigkeit“⁴⁴ attestiert werden kann, prägte Künstler und ihre Kunst gleichermaßen. 

Peter Candid (gen. Pieter de Witte), Die Tochter des Jephta, um 1590/1600, Öl auf  Leinwand, 109,5 x 84,5 cm, München, Alte Pinakothek. (Bild aus: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/wq4jEAQGWo/peter-candid gen-pieter-de-witte/die-tochter-des-jephta)

Autorinnen: Sabine Brandenburg und Anna Noll

Endnoten
¹Vgl. GOTTHARD, Axel, Wie funktionierte das Alte Reich? Die politischen Rahmenbedingungen (18.01.2017), Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/reformation/235715/wie-funktionierte-das-alte-reich (27.04.2021)
² Vgl. GOTTHARD, Axel, Deutschlands großer Konfessionskrieg (18.01.2017), Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/reformation/235721/deutschlands-grosser-konfessionskrieg (27.04.2021)
³ Morsbach 2008, S. 45-46.
 Ebd., S. 47
 Ebd., S. 53

³⁶ Morsbach 2008, S. 50
³⁷ Tacke 1997, S. 53-54
³⁸ tacke 1997, S. 54
³⁹ Morsbach 2008, S. 50
⁴⁰ Ebd., S. 50

 Babin 2019, S. 7.
 Roettgen 1991, S. 18.
 Babin 2019, S. 8
 Sandrart, S. 314
¹⁰ Lange 2003, S.211

¹⁶ Morsbach 2008, S. 47
¹⁷ Tacke 1997, S. 55
¹⁸ Sandrart, S. 3
¹⁹ Ebd., S. 3
²⁰ Posselt 2012, S. 141

²⁶ Tacke 1997, S. 47
²⁷ Ebd., S. 48
²⁸ Tacke 1997, S. 49
²⁹ Tacke 1997, S. 55
³⁰ Ebd., S. 58

⁴¹ Morsbach 2008, S. 50
⁴² Tacke 1997, S. 60
⁴³ Ebd., S. 1997, S. 46
⁴⁴ Morsbach 2008, S. 10

¹¹ Steinbart 1940, S. 4f
¹² Riis 2009, S.167-182.
¹³ Lange 2003, S.211-216.
¹⁴ Ebd., S. 217-19
¹⁵ Ebd., S. 216f

²¹ Posselt 2012, S. 142
²² Tacke 1997, S. 46
²³ Ebd., S. 46
²⁴ Ebd., S. 60-67
²⁵ Bauer 1982, S. 25

³¹ Tacke 1997, S. 50
³² Morsbach 2008, S. 49
³³ Ebd., S. 49
³⁴ Ebd., S. 50
³⁵ Tacke 1997, S. 52

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