Der verlorene Sohn bei den Dirnen

Dieses großformatige Gemälde zeigt zwölf Erwachsene und zwei Kind bei einem ausgelassenen Gelage. Freizügig schmeißen sich die Männer an die Frauen heran, sodass schnell der Eindruck erweckt wird, dass Freier Dirnen umgarnen. Der verlorene Sohn als Bildthema ist nicht direkt zu erkennen.

Der verlorene Sohn bei den Dirnen

um 1622
160,5 x 240 cm, Öl auf Leinwand
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Allgemeines zum Bild:

Liss zeigt in diesem, seinem vom Format her betrachtet größten Gemälde, zwölf Erwachsene und zwei Kinder sowie einen Hund. Das Gemälde Der verlorenen Sohn bei den Dirnen, das sich heute in Nürnberg befindet, verwendet Steinbart noch den Titel „Das Gelage von Soldaten und venezianischen Kurtisanen“.¹ Im Zentrum sitzt ein Mann in geöffneter roter Hose auf einem Tisch und schenkt sich mit seinem hoch erhobenem linken Arm Wein ein. Neben seinem rechten Bein sitzt in sich gedrehter Position ein Mann in einem metallenen Brustharnisch und einer Fechtwaffe an der linken Hüfte. Die anderen Erwachsenen sind in Zweiergruppen arrangiert. Bis auf die beiden weiblichen Figuren am rechten Bildrand sind die Zweiergruppen jeweils ein Paar aus einer Frau und einem Mann. 


Auffällig gestaltet ist das Paar rechts vom sich Wein einschenkenden Zecher. Die Frau trägt ein aufwändiges Kleid aus gelbem und rotem Stoff sowie eine weiße „Schürze“. Der Mann sitzt auf einem roten Tuch, trägt einen Brustharnisch und eine Fechtwaffe an seiner linken Hüfte. Wie auch in den anderen Zweiergruppen macht sich der Mann über die Frau her und steht in Blickkontakt mit ihr. Von den Kindern befindet sich eines neben den beiden Frauen am rechten Bildrand. Das andere Kind steht auf der gegenüberliegenden Bildseite und versucht dem Mann, der vollkommen in der Interaktion mit der Frau steht, den Geldbeutel zu stehlen.

Details

Vergleichswerke

Johann Liss, Morraspiel in der Wachstube, Federzeichnung, 20,6 x 32,7 cm, Academy of Arts Honolulu, Lustige Gesellschaft mit Wahrsagerinnen, Federzeichnung, 22,5 x 33,5cm, Museum Bredius Den Haag, Lustige Gesellschaft von Soldaten und Kurtisanen, um 1622, Feder auf Papier, 23,1 x 33,9cm, Galleria degli Uffizi. Cabinetto Disegni e Stampe Floren

Während Einigkeit darüber besteht, dass Johann Liss mit diesem Gemälde eine Bordellszene malte, ist es fraglich, ob er das Werk als Auftragsarbeit anfertigte oder nicht. Die Frage kann nicht durch Schriftzeugnisse geklärt werden, jedoch gibt es andere Anhaltspunkte. Für einen Auftrag spricht, dass es unterschiedliche Zeichnungen gibt, die das Thema in unterschiedlichen Variationen aufgreifen. Dabei könnte die Zeichnung Morraspiel in der Wachstube in Honolulu eine abweichende Komposition zeigen, während die Zeichnungen zu dem Thema in Den Haag und Florenz Alternativentwürfe zueinander sein könnten, bei denen sich schließlich der Entwurf der florentiner Zeichnung für das Gemälde durchsetzte. Zwischen dieser Zeichnung und dem Gemälde Der verlorene Sohn gibt es nur noch im Detail geringfügige Abweichungen.

Johann Liss, Der verlorene Sohn, Wien

Johann Liss hat das Gleichnis vom verlorenen Sohn mehrfach aufgegriffen und drei bekannte Gemälde dazu geschaffen. Das früheste dürfte das Gemälde Der verlorene Sohn unter den Dirnen aus der Zeit des ersten Venedigaufenthalts sein, das sich heute in Wien befindet. Es folgen das Gemälde Der verlorene Sohn bei den Dirnen, das heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg ausgestellt wird, und das Gemälde Der verlorene Sohn, das sich heute in einer New Yorker Privatsammlung befindet.

Michelangelo Merisi da Caravaggio, Die Handlesende Zigeunerin, 1594, Öl auf Leinwand, 99 x 131 cm, Musée du Louvre, Paris

Liss‘ Gemälde weist einen starken Kontrast zwischen beleuchteten und unbeleuchteten Partien auf. So fällt auf, dass sich die sechs Personen im Zentrum im Licht befinden, während die anderen Figuren je weiter sie sich im Hintergrund und an den Bildrändern befinden immer mehr ins Dunkel getaucht sind. Die Zweiergruppe am linken Bildrand ist in dieser Beleuchtungssituation nur noch schemenhaft zu erkennen. Als Vorbild für die Lichtführung benennt Steinbart Die wahrsagende Zigeunerin, wobei es sich wohl um das Gemälde Handlesende Zigeunerin aus dem Louvre in Paris handelt.¹⁰ Steinbart mag in der Gestaltung der Beleuchtungssituation das Vorbild der Lichtstreifen Caravaggios erkennen, ist aber der Meinung, dass dieser Lichtstreifen bei Liss eher zusammenhangslos und als eine Fehlinterpretation der Logik Caravaggios in der Lichtführung erscheint.¹¹ Hiergegen eine ist jedoch anzuführen, dass das Licht eher weniger als ein Lichtstreifen daherkommt, als dass eine leicht schräg links versetzte Lichtquelle außerhalb des Bildes ihren Lichtschein auf die Personen im Zentrum wirft. 

Autor: Andreas Schübeler

Endnoten
¹  Steinbart 1940, S. 65
²  Klessmann 1999, S. 54
³  Ebd., S. 54
⁴  Ebd., S. 132 und Steinabrt 1940, S. 65
⁵  Klessmann 1999, S. 133

 Steinbart 1940, S. 65
 Klessmann 1999, S. 133
 Ebd., S. 54
 Ebd., S. 54, 57
¹⁰ Steinbart 1940, S. 73f
¹¹ Ebd., S. 73

Bibliographie

Klessmann, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Gent 1999.

Poeschel, Sabine: Art. Der verlorene Sohn In: Handbuch der Ikonographie, hrsg. von Poeschel, Sabine, Darmstadt 62014, S. 162.

Privilegierte Württembergische Bibelgesellschaft (Hrsg.): Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten u. Neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers, Stuttgart 1934.

Steinbart, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein, Berlin 1940.